Scheidungsverfahren: Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht gemäß Brüssel-IIb- und Rom III-Verordnung

Scheidungsverfahren: Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht gemäß Brüssel-IIb- und Rom III-Verordnung

Vor Einleitung eines Scheidungsverfahrens muss sorgfältig überprüft werden, ob ein deutsches Gericht gemäß der Brüssel-IIb-Verordnung überhaupt international zuständig ist und welches Recht gemäß der Rom III-Verordnung auf die Scheidung anzuwenden ist.

A. Zuständigkeit

I. Internationale Gerichtszuständigkeit / Brüssel-IIb-Verordnung

Primär richtet sich die Frage der internationalen Zuständigkeit eines deutschen Gerichts für die Durchführung des Scheidungsverfahrens nach der Brüssel-IIb-Verordnung (VERORDNUNG (EU) 2019/1111 DES RATES vom 25. Juni 2019 über die Zuständigkeit, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und über internationale Kindesentführungen).

Sofern beide Ehegatten deutsche Staatsangehörige sind, ergibt sich die internationale Zuständigkeit unproblematisch aus Art. 3 lit. b der Brüssel-IIb-Verordnung.

Ist nur ein Ehegatter deutscher Staatsangehöriger, ist die Prüfung deutlich aufwendiger.

Gemäß Art. 3 lit. a der Brüssel-II b-Verordnung sind die Gerichte des Mitgliedsstaates der Brüssel-II b- Verordnung für das Scheidungsverfahren international zuständig,

in dessen Hoheitsgebiet

i) beide Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,

ii) die Ehegatten zuletzt beide ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten, sofern einer von ihnen dort noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat,

iii) der Antragsgegner seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat,

iv) im Fall eines gemeinsamen Antrags einer der Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat,

v) der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, wenn er sich dort seit mindestens einem Jahr unmittelbar vor der Antragstellung aufgehalten hat, oder

vi) der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, wenn er sich dort seit mindestens sechs Monaten unmittelbar vor der Antragstellung aufgehalten hat und Staatsangehöriger des betreffenden Mitgliedstaats ist…“

Beispielsfall 1: Der Ehemann hat die deutsche Staatsangehörigkeit. Die Ehefrau ist spanische Staatsangehörige. Beide leben seit drei Jahren in Spanien.

Trotz der deutschen Staatsangehörigkeit des Ehemannes sind die deutschen Gerichte in diesem Beispielsfall für das Scheidungsverfahren nicht zuständig. Zuständig sind ausschließlich die spanischen Gerichte, da die Eheleute ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Mitgliedsstaat Spanien haben.

Damit sich (auch) eine internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte gemäß Art. 3 lit. a der Brüssel-IIb-Verordnung ergäbe, müsste z.B. die Ehefrau ihren gewöhnlichen Aufenthalt zurück nach Deutschland verlegen und sich vor Einreichung des Scheidungsantrags mindestens sechs Monate in Deutschland aufhalten (Art. 3 a lit. vi) oder der Ehemann müsste seinen gewöhnlichen Aufenthalt nach Deutschland verlegen und sich vor Einreichung des Scheidungsantrags mindestens 12 Monate in Deutschland aufhalten (Art. 3 a lit. v).

Beispielsfall 2: Der Ehemann hat die deutsche Staatsangehörigkeit. Die Ehefrau ist spanische Staatsangehörige. Beide leben seit vier Jahren in Dubai.

Aus Art. 3 der Brüssel-II b- Verordnung ergibt sich in diesem Beispielsfall keine Zuständigkeit eines Mitgliedstaates der Brüssel-IIb-Verordnung, da die Ehegatten weder beide über die deutsche Staatsangehörigkeit verfügen (Art. 3 lit. b) noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt zuletzt in einem Mitgliedsstaat hatten (Art. 3 lit. a), da Dubai kein Mitgliedsstaat der Brüssel-IIb-Verordnung ist.

In diesem Fall ergibt sich jedoch eine internationale Restzuständigkeit der deutschen Gerichte für das Scheidungsverfahren aus Art. 6 Abs. 1 Brüssel-IIb-Verordnung in Verbindung mit § 98 Abs. 1 Nr. 1 FamFG, da der Ehemann deutscher Staatsangehöriger ist.

Praxisfalle

In Scheidungsverfahren kommt es immer wieder vor, dass die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte lapidar mit dem Verweis auf § 98 FamFG behauptet wird, ohne dass zuvor geprüft wurde, ob eine solche Zuständigkeit nach den gemäß § 97 FamFG vorrangigen supranationalen Vorschriften wie z.B. der Brüssel-IIb-Verordnung oder dem Deutsch-Persischen Niederlassungsabkommen ausgeschlossen ist.

Wird der Scheidungsantrag in diesem Fall zurückgewiesen, da die internationale Zuständigkeit des deutschen Gerichts nicht gegeben ist, hat der Antragsteller nicht nur die Kosten seines eigenen Anwalts, sondern auch die Anwaltskosten der Gegenseite und die gesamten Gerichtskosten allein zu tragen.

II. Örtliche Zuständigkeit und Zuständigkeitskonzentration

Sind die deutschen Gerichte international für das Scheidungsverfahren zuständig, ergibt sich die örtliche Zuständigkeit des jeweiligen Familiengerichts aus § 122 FamFG. Dabei ist zu beachten, dass für alle in Deutschland durchzuführenden Scheidungsverfahren von Ehepartnern, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt beide nicht in Deutschland haben, zentral das Amtsgericht Schöneberg in Berlin zuständig ist.

B. Anwendbares Recht / Rom III-Verordnung

Steht die internationale Zuständigkeit des deutschen Gerichts fest, stellt sich im nächsten Schritt die Frage, welches Recht das Gericht auf das Scheidungsverfahren anzuwenden hat.

Die Antwort auf diese Frage findet sich in der sogenannten Rom III-Verordnung (VERORDNUNG (EU) Nr. 1259/2010 DES RATES vom 20. Dezember 2010 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts).

I. Bestimmung des anwendbaren Rechts mangels Rechtswahl gemäß Art. 8 der Rom-III-Verordnung

Art. 8 der Rom-III-Verordnung regelt, welches Recht auf die Scheidung anzuwenden ist, wenn die Ehepartner keine Rechtswahl getroffen haben.

„Mangels einer Rechtswahl gemäß Artikel 5 unterliegen die Ehescheidung und die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes

a) dem Recht des Staates, in dem die Ehegatten zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, oder anderenfalls

b) dem Recht des Staates, in dem die Ehegatten zuletzt ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten, sofern dieser nicht vor mehr als einem Jahr vor Anrufung des Gerichts endete und einer der Ehegatten zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts dort noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder anderenfalls

c) dem Recht des Staates, dessen Staatsangehörigkeit beide Ehegatten zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts besitzen, oder anderenfalls

d) dem Recht des Staates des angerufenen Gerichts.“

Im Beispielsfall 2 bedeutet dies, dass das deutsche Gericht auf die Scheidung das Recht von Dubai anzuwenden hat.

Beispielsfall 3: Der Ehemann hat die deutsche Staatsangehörigkeit, die Ehefrau ist spanische Staatsangehörige. Beide haben zuletzt gemeinsam in Dubai gelebt. Der Ehemann lebt seit mehr als sechs Monaten wieder in Deutschland, die Ehefrau lebt in Spanien. Der Ehemann stellt in Deutschland einen Scheidungsantrag.

Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ergibt sich aus Art. 3 a lit. vi Brüssel-IIb-Verordnung, da der Ehemann seinen gewöhnlichen Aufenthalt als Deutscher seit mehr als sechs Monaten in Deutschland hat.

Das anwendbare Recht ist sodann nach dem chronologischen Ausschlussprinzip wie folgt zu bestimmen:

Art. 8 lit. a Rom III-VO trifft nicht zu, da die Eheleute ihren gewöhnlichen Aufenthalt zum Zeitpunkt der Einreichung des Scheidungsantrags nicht im selben Staat haben.

Art. 8 lit. b Rom III-VO trifft ebenfalls nicht zu, da der letzte gewöhnliche Aufenthalt der Ehepartner in Dubai war und keiner der Ehegatten mehr dort lebt.

Art. 8 lit. c Rom III-VO ist ebenfalls nicht einschlägig, da die Ehepartner verschiedene Staatsangehörigkeiten haben.

Somit ergibt sich gemäß Art. 8 lit. d die Anwendbarkeit des deutschen Rechts, weil der Ehemann den Scheidungsantrag beim deutschen Gericht eingereicht hat.

Beispielsfall 4: Beide Ehegatten sind ausschließlich spanische Staatsangehörige. Beide haben zuletzt gemeinsam in Dubai gelebt. Der Ehemann lebt seit mehr als einem Jahr in Deutschland, die Ehefrau lebt in Spanien. Der Ehemann stellt in Deutschland einen Scheidungsantrag.

Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ergibt sich Art. 3 a, lit. v Brüssel-IIb-Verordnung, da der Ehemann seinen gewöhnlichen seit mehr als einem Jahr in hat.

Das anwendbare Recht ist wie folgt zu bestimmen:

Art. 8 lit. a Rom III-VO trifft nicht zu, da die Eheleute ihren gewöhnlichen Aufenthalt zum Zeitpunkt der Einreichung des Scheidungsantrags nicht im selben Staat haben.

Art. 8 lit. b Rom III-VO trifft ebenfalls nicht zu, da der letzte gewöhnliche Aufenthalt der Ehepartner in Dubai war und keiner der Ehegatten mehr dort lebt.

Somit ergibt sich gemäß Art. 8 lit. c die Anwendbarkeit des spanischen Rechts, weil beide Eheleute spanische Staatsangehörige sind.

Praxisfalle

Oft wird bei der Bestimmung des anwendbaren Rechts gemäß Art. 8 Rom III-VO nicht beachtet, dass es sich bei dieser Vorschrift um eine Stufenleiter ähnlich der „Kegel’schen Leiter“ in Art. 14 EGBGB handelt.

Die Prüfung muss streng von a) nach d) erfolgen. Ergibt sich das anwendbare Recht z.B. bereits aus Art. 8 a), ist die Prüfung abgeschlossen. Man darf sich also nicht einfach einen passenden Buchstaben aussuchen.

Dies wird am Beispielfall 4 deutlich. Da beide Ehegatten die spanische Staatsangehörigkeit haben, Art. 8 lit. a und b nicht zutreffen, ist die Prüfung mit dem Ergebnis angeschlossen, dass spanisches Recht anzuwenden ist. Beachtet man diese Prüfungsreihenfolge nicht, käme man zu dem falschen Ergebnis, dass gemäß Art. 8 d) auch deutsches Recht angewendet werden könnte.

II. Rechtswahl gemäß Art. 5 Abs. 1 ROM III-VO

Gemäß Art. 5 Abs. 1 ROM III-VO können die Ehegatten das auf die Ehescheidung anzuwendende Recht durch Vereinbarung wählen, sofern es sich hierbei um das Recht des Staates handelt,

  • in dem die Ehegatten zum Zeitpunkt der Rechtswahl ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben (Art. 5 Abs. 1 lit. a. Rom-III-Verordnung), oder
  • in dem die Ehegatten zuletzt ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten, sofern einer von ihnen zum Zeitpunkt der Rechtswahl dort noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Art. 5 Abs. 1 lit. b. Rom-III-Verordnung), oder
  • dessen Staatsangehörigkeit einer der Ehegatten im Zeitpunkt der Rechtswahl besitzt (Art. 5 Abs. 1 lit. c. Rom-III-Verordnung), oder
  • um das Recht des Staates des angerufenen Gerichts (Art. 5 Abs. 1 lit. d. Rom-III-Verordnung).

Formvorschrift und Zeitpunkt der Rechtswahl gemäß Art. 5 ROM III-VO

Die Rechtswahl muss grundsätzlich spätestens bis zu dem Zeitpunkt getroffen worden sein, in welchem das Scheidungsverfahren bzw. das Trennungsverfahren beim Amtsgericht anhängig gemacht wurde (Art. 5 Abs. 2 Rom-III-Verordnung). Etwas anderes gilt aber, wenn das Recht des angerufenen Staates, sowie das deutsche Recht, etwas anderes vorsieht (Art. 5 Abs. 3 Rom-III-Verordnung).

In Scheidungsverfahren vor deutschen Gerichten kann die Rechtswahl sogar noch im Scheidungstermin vor dem zuständigen Amtsgericht (Familiengericht) getroffen werden. Die gemäß Art. 14 Abs. Satz 3 EGBGB zu ihrer Formwirksamkeit erforderliche notarielle Beurkundung wird dabei durch Erklärung der die Eheleute vertretenden Rechtsanwälte zu Protokoll des Gerichts ersetzt (Art. 5 Abs. 3 Rom III-VO, § 127a BGB).

Praxistipp

Durch eine Rechtswahl lässt sich ein Scheidungsverfahren deutlich beschleunigen, soweit beide Eheleute ein Interesse an einer schnellen Scheidung haben.

Nach deutschem Recht können Eheleute regelmäßig erst dann geschieden werden, wenn Sie ein Jahr voneinander getrennt gelebt haben. Wählen die Eheleute das Recht eines Staates, welches kein Trennungsjahr kennt, kann der Scheidungsantrag hingegen sofort gestellt werden.

III.          Gleichgeschlechtliche Ehen /Brüssel-IIb-Verordnung und ROM III-VO 

Für gleichgeschlechtliche Ehen gelten hinsichtlich der Prüfung der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte sowie des anwendbaren Rechts dieselben Grundsätze wie für verschiedengeschlechtliche Ehen.

Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für die Scheidung gleichgeschlechtlicher Ehen richtet sich ebenfalls nach der Brüssel-IIb-Verordnung (VERORDNUNG (EU) 2019/1111 DES RATES vom 25. Juni 2019 über die Zuständigkeit, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und über internationale Kindesentführungen).

Die Bestimmung des auf die Scheidung der gleichgeschlechtlichen Ehe anzuwendenden Rechts richtet sich gemäß Art. 17b Abs. 4 Satz 1 EGBGB ebenso nach der Rom III-Verordnung (VERORDNUNG (EU) Nr. 1259/2010 DES RATES vom 20. Dezember 2010 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts).

Dieselben Grundsätze gelten im Übrigen auch für Ehen, in denen ein Ehegatte oder beide Ehegatten weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht angehören.