Unterhaltsverfahren: Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht gemäß Europäischer Unterhaltsverordnung (EuUntVO) und Haager Unterhaltsprotokoll (HUP)

Vor Einleitung eines Unterhaltsverfahren muss geprüft werden, ob deutsche Gerichte gemäß der EuUntVO überhaupt international zuständig für die Entscheidung über die geltend gemachten Unterhaltsansprüche sind und welches Recht gemäß des Haager Unterhaltsprotokolls auf die Unterhaltsansprüche anzuwenden ist.

A. Internationale und örtliche Zuständigkeit gemäß EuUntVO und AUG

I.  Internationale Gerichtszuständigkeit / EuUntVO

Die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte für Unterhaltsstreitigkeiten erfolgt gemäß der Europäischen Unterhaltsverordnung (EuUntVO), auch bekannt als VERORDNUNG (EG) Nr. 4/2009 DES RATES vom 18. Dezember 2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen.

Gemäß Art. 3 EuUntVO ist zuständig für Entscheidungen in Unterhaltssachen in den Mitgliedstaaten

„a) das Gericht des Ortes, an dem der Beklagte seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder

 b) das Gericht des Ortes, an dem die berechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder

 c) das Gericht, das nach seinem Recht für ein Verfahren in Bezug auf den Personenstand zuständig ist, wenn in der Nebensache zu diesem Verfahren über eine Unterhaltssache
zu entscheiden ist, es sei denn, diese Zuständigkeit begründet sich einzig auf der Staatsangehörigkeit einer der Parteien, oder

 d) das Gericht, das nach seinem Recht für ein Verfahren in Bezug auf die elterliche Verantwortung zuständig ist, wenn in der Nebensache zu diesem Verfahren über eine
Unterhaltssache zu entscheiden ist, es sei denn, diese Zuständigkeit beruht einzig auf der Staatsangehörigkeit einer der Parteien.“

Beispielsfall 1: Kind K lebt in Italien und möchte Unterhaltsansprüche gegen seinen in Deutschland lebenden Vater V durchsetzen.

Die deutschen Gerichte sind gemäß Art. 3 lit. b EuUntVO international für diese Unterhaltssache zuständig, da V seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat. Wahlweise könnte K seine Unterhaltsansprüche aber auch vor einem italienischen Gericht durchsetzen, da es seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Mitgliedsstaat Italien hat (Art. 3 lit. a EuUntVO).

Beispielsfall 2: Ehemann M ist deutscher Staatsangehöriger und lebt seit 13 Monaten getrennt von seiner Ehefrau F in Frankreich. F ist niederländische Staatsangehörige und lebt seit 13 Monaten in Portugal. Vor der Trennung haben die Ehegatten mehrere Jahre zusammen in Deutschland gelebt. F macht Ehegattenunterhaltsansprüche wegen Getrenntlebens gegen M geltend.

Aus Art. 3 EuUntVO ergibt sich keine internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte, da weder M noch F ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben und die Voraussetzungen der Art. 3 lit. c und d EuUntVO nicht vorliegen. International zuständig für die Unterhaltssache der F sind hingegen wahlweise die Mitgliedsstaaten Frankreich (Art. 3 lit. a) und Portugal (Art.3 lit b).

Beispielsfall 3: Ehemann M und Ehefrau F sind beide deutsche Staatsangehörige und leben seit der Eheschließung in Österreich. Dort leben sie seit 13 Monaten getrennt voreinander. F macht Ehegattenunterhaltsansprüche wegen Getrenntlebens gegen M geltend.

Gemäß Artikel 3 der Europäischen Unterhaltsverordnung (EuUntVO) besteht keine internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte, da weder der M noch die F ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben und die Bedingungen gemäß Artikel 3 Buchstaben c und d der EuUntVO nicht erfüllt sind. Daher sind ausschließlich die Gerichte Österreichs für die Unterhaltssache der F international zuständig (Art. 3 lit. a und b).

Praxisfalle

Die F argumentiert im Beispielsfall 2, die Zuständigkeit der deutschen Gerichte für ihre Unterhaltssache ergäbe sich doch aus der Auffangzuständigkeit des Art. 6 EuUntVO, da sie und ihr Ehemann beide deutsche Staatsangehörig seien. Die Auffassung der F ist jedoch unzutreffend, da sie verkennt, dass die Auffangzuständigkeit nur dann zum Tragen kommt, wenn sich aus den Artikeln 3, 4 und 5 EuUntVO keine Zuständigkeit eines Mitgliedsstaates ergibt. Aus Art. 3 ergab sich jedoch bereits die Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaates Österreich.

Anders wäre die Situation in folgendem Beispielsfall zu beurteilen.

Beispielsfall 4: Ehemann M und Ehefrau F sind beide deutsche Staatsangehörige und leben seit der Eheschließung in Nigeria. Dort leben sie seit 13 Monaten getrennt voreinander. F macht Ehegattenunterhaltsansprüche wegen Getrenntlebens gegen M geltend.

Aus Art. 3 EuUntVO ergibt sich weder eine Zuständigkeit der deutschen Gerichte noch eines anderen Mitgliedstaates, da weder M noch F ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland oder einem Vertragsstaat der EuUntVO haben und die Voraussetzungen der Art. 3 lit. c und d EuUntVO nicht vorliegen. In diesem Fall greift wegen der gemeinsamen deutschen Staatsangehörigkeit die Auffangzuständigkeit des Art. 6 EuUntVO, da Nigeria weder Mitgliedsstaat der EuUntVO noch dem Übereinkommen von Lugano angehört. Die deutschen Gerichte wären für die Unterhaltssache der F zuständig.

II. Örtliche Zuständigkeit und Zuständigkeitskonzentration nach FamFG und AUG

Sind die deutschen Gerichte international für die Unterhaltssache zuständig, ergibt sich die örtliche Zuständigkeit des jeweiligen Familiengerichts grundsätzlich aus § 232 FamFG.

Vorrangig ist aber die in § 28 AUG (Gesetz zur Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Verkehr mit ausländischen Staaten) normierte Zuständigkeitskonzentration zu beachten. Danach entscheidet, wenn ein Beteiligter seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Inland hat, über Anträge in Unterhaltssachen in den Fällen des Artikels 3 lit. a und b EuUntVO das jeweilige für den Sitz des Oberlandesgerichts, in dessen Bezirk der Antragsgegner oder der Berechtigte seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, zuständige Amtsgericht. Für den Bezirk des Kammergerichts, also in Berlin, ist für diese Verfahren ausschließlich Amtsgericht Pankow zuständig.

B. Unterhaltsstatut / Anwendbares Recht gemäß Haager Unterhaltsprotokoll (HUP)

Nachdem die internationale Zuständigkeit des deutschen Gerichts feststeht, stellt sich als nächstes die Frage, welches Recht auf das Unterhaltsverfahren anzuwenden ist.

Das sogenannte Unterhaltsstatut legt fest, welches Recht auf einen Unterhaltsfall mit Auslandsbezug anzuwenden ist. Die Möglichkeit, von wem Unterhalt verlangt werden kann, die Höhe des Unterhalts, die verschiedenen Unterhaltstatbestände, die Möglichkeit, rückwirkend Unterhalt zu fordern, sowie die Verjährung von Unterhaltsansprüchen richten sich nach dem Unterhaltsstatut. Dabei unterscheiden sich die Unterhaltsrechte verschiedener Länder, einschließlich europäischer Mitgliedstaaten, teilweise erheblich voneinander.

Das auf die Unterhaltssache anzuwendende Recht ergibt sich insbesondere aus dem Haager Unterhaltsprotokoll (Protokoll über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht vom 23. November 2007).

I. Bestimmung des anwendbaren Rechts gemäß Haager Unterhaltsprotokoll (HUP) mangels Rechtswahl

Haben die unterhaltsberechtigte und die unterhaltsverpflichtete Person keine Rechtswahl getroffen, ergibt sich das auf das Unterhaltsverfahren anzuwendende Recht in erster Linie aus Artikel 3 HUP.

1. Allgemeine Regel des Art. 3 HUP

Danach ist für das Unterhaltspflichten das Recht des Staates maßgebend, in dem die berechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat (Art. 3 (1) HUP).

Wechselt die berechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt, so ist vom Zeitpunkt des Aufenthaltswechsels an das Recht des Staates des neuen gewöhnlichen Aufenthalts anzuwenden (Art. 3 (2) HUP).

Im Beispielsfall 1 haben die Gerichte daher grundsätzlich italienisches Recht auf den Unterhaltsanspruch des Kindes K gegen seinen Vater V anzuwenden, da das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Italien hat.

2. Besondere Regeln zugunsten bestimmter berechtigter Personen gemäß Art. 4 HUP

Insbesondere für Unterhaltspflichten von Eltern gegenüber ihren Kindern und Kindern gegenüber ihren Eltern enthält Art. 4 HUP von der allgemeinen Regel abweichende, besondere Regeln.

So ist beispielsweise das am Ort des angerufenen Gerichts geltende Recht anzuwenden (Art. 4 (2) HUP),wenn die berechtigte Person nach dem in Artikel 3 HUP vorgesehenen Recht von der verpflichteten Person keinen Unterhalt erhalten kann.

3. Besondere Regel in Bezug auf Ehegatten und frühere Ehegatten gem. Art 5 HUP

In Bezug auf Unterhaltspflichten zwischen Ehegatten, früheren Ehegatten oder Personen, deren Ehe für ungültig erklärt wurde, findet Artikel 3 keine Anwendung, wenn eine der Parteien sich dagegen wendet und das Recht eines anderen Staates, insbesondere des Staates ihres letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts, zu der betreffenden Ehe eine engere Verbindung aufweist. In diesem Fall ist das Recht dieses anderen Staates anzuwenden.

II. Rechtswahl gemäß Art. 7 und 8 Haager Unterhalts Protokoll (HUP)

Die unterhaltsberechtigte und die unterhaltsverpflichtete Person können gemäß Art. 7 und 8 des Haager Unterhaltsprotokolls eine Rechtswahl bezüglich des auf Unterhaltsstreitigkeiten anzuwendenden Rechts treffen.

1. Rechtswahl für ein einzelnes Verfahren (Art. 7 HUP)

Gemäß Artikel 7 HUP können die berechtigte und die verpflichtete Person allein für die Zwecke eines einzelnen Verfahrens in einem bestimmten Staat ausdrücklich das Recht dieses Staates als das auf eine Unterhaltspflicht anzuwendende Recht bestimmen.

2. Generelle Rechtswahl für Unterhaltsverfahren (Art. 8 HUP)

Nach Artikel 8 HUP können die unterhaltsberechtigte und die zur Unterhaltszahlung verpflichtete Person jederzeit eine der folgenden Rechtsordnungen als das auf eine Unterhaltspflicht anzuwendende Recht bestimmen:

a) das Recht eines Staates, dem eine der Parteien im Zeitpunkt der Rechtswahl angehört,

b) das Recht des Staates, in dem eine der Parteien im Zeitpunkt der Rechtswahl ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat

c) das Recht, das die Parteien als das auf ihren Güterstand anzuwendende Recht bestimmt haben, oder das tatsächlich darauf angewandte Recht

d) das Recht, das die Parteien als das auf ihre Ehescheidung oder Trennung ohne Auflösung der Ehe anzuwendende Recht bestimmt haben, oder das tatsächlich auf diese Ehescheidung oder Trennung angewandte Recht.